Das Leben ist schön - auch mit FSHD

„Ich schleppe die FSH-D Krankheit nun schon viele Jahrzehnte mit mir herum. Anfänglich, im Teenageralter, wurde ich zunehmend als müde, faule Socke behandelt. Nicht, dass mir das Lernen schwer fiel (das klappte noch am besten), nein ich war nie so richtig belastbar. Weder beim Laufen, noch bei anderen Aktivitäten. Bei langen Fahrradausflügen, Sportveranstaltungen oder bei den beliebten Wettkämpfen der von mir so verhassten Kinderveranstaltungen, zog ich in der Regel immer den schwarzen Peter. Später, als es sogar den Erwachsenen auffiel, bekam ich ewig Vorhaltungen: Geh‘ gerade, lass deine Schultern nicht so hängen, benutze deinen Schulranzen, und trage nicht die schweren Taschen. Was mich am meisten fuchste war: Du lutschst wohl immer noch am Daumen, deshalb deine krumme Haltung. O.K. Keiner ahnte, was hinter mir trüben Tasse stand. Ich auch nicht. Ich war eben anders. Bis – dem Himmel sei Dank – ein Mensch auf die Idee kam, das Ganze nicht nur als pubertierende Opposition hinzunehmen, sondern auch mal hinzuhören.

Bislang hatte ich mich nicht getraut, über die ständigen Kopfschmerzen zu jammern. Mir wurde sehr rechtzeitig gesagt, dass es so etwas bei Kindern nicht gäbe. Die Zeiten waren eben anders als heute. Anfang der Fünfziger Jahre waren die Menschen bemüht, den 2. Weltkrieg hinter sich zu lassen. Zu viel Elend musste mit unglaublichem Fleiß und 6 Tage Arbeit mit 10 – 12 Stunden Einsatz wieder aus dem Weg geschaufelt werden. Da konnten sie sich nicht um so einen Faulpelz kümmern. Sie verstanden es einfach nicht, dass jemand nicht mit in die Hände spuckte, um dem Wirtschaftswunder mit allen seinen Kräften auf die Sprünge zu helfen.

Aber dann ––– eines Tages wurde nach einem Sturz (Stürze waren in der Regel das größte Ärgernis bei uns, da ewig die langen Strümpfe geflickt werden mussten. Hosen waren zu der Zeit in meinen Kreisen äußerst verpönt und verboten), ja aber dann wurde herum gerätselt, warum die nun schon 15jährige diese Fallsucht hatte. Da wurde Rheuma usw. festgestellt. Da war noch lange nicht äußerlich zu sehen, was man heute bei mir entdecken kann und was bei dieser FSH-D so typisch ist.

Es dauerte lange, bis ein Neurologe sich einigermaßen klar wurde: Da steckt eine Erbsche Krankheit, eine Landouzy - Dejerine dahinter. Sei‘s drum, da die Leute um mich herum bei mir nichts Auffälliges entdecken konnten, änderte sich mein Leben mit ihnen nicht so sonderlich. Jetzt konnte ich aber mit mir besser umgehen. Nun hatte mein Schlaffi einen Namen. Heute habe ich diese wild um sich greifende Muskeldystrophie zwar immer noch, sie ist auch noch die gleiche, nur heisst sie jetzt anders: –– FSH-D ––. Das ist mir egal.

In der langen Zeit habe ich alle seelischen Hochs und Tiefs, wie alle von dieser Erkrankung Befallenen, mitgemacht, verlor dabei immer mehr Muskelkraft, aber nie meinen Humor. Wenn ich mit meinem Rollstuhl mit 10 km/h an allem vorbeidüse, die frische Luft dabei spüre und die Natur in allen ihren Jahreszeiten-Anzügen genießen darf, dann weiß ich, die Welt ist schön und bunt, auch wenn man körperlich gefesselt ist.“